Von Ludwig Thoma auf den Leib geschrieben

Bericht Weilheimer Tagblatt 06.12.2022

Die­ter Fi­scher ließ bei Le­sung in der Stifts­kir­che die „Hei­li­ge Nacht“ le­ben­dig wer­den

 

Pol­ling – Wie es in der Ei­ses­käl­te der glän­zend be­such­ten Pol­lin­ger Stifts­kir­che mög­lich ist, mit halb er­fro­re­nen Fin­gern und kal­ten Keh­len zu mu­si­zie­ren, grenzt al­lein schon – trotz Ta­schen­öf­chen – an ein Wun­der. Die­ter Fi­scher, gar mit of­fe­nem Hemd im Trach­ten­jan­ker, müss­te ei­gent­lich die Ther­mos­kan­ne statt der Mi­ne­ral­was­ser­fla­sche aus sei­ner alten le­der­nen Dok­tor­ta­sche zie­hen. Erst ein­mal beim Glo­cken­schlag die Ad­vents­ker­ze an­zün­den, dann stimmt das En­sem­ble Sai­ten­druck mit Harfe, Hack­brett, Stei­ri­scher und Gi­tar­re auf die Thoma-Le­sung der „Hei­li­gen Nacht“ be­hut­sam mit einem fei­nen Jod­ler und dem „89/90 Wal­zer“ ein.

Die „Hei­li­ge Nacht“ ist Kult pur in Bay­ern, wird in der Ad­vents- wie Weih­nachts­zeit gerne zu Gehör ge­bracht. Alle gro­ßen baye­ri­schen Volks­schau­spie­ler haben sie ge­le­sen, man kann sich über Jahr­zehn­te an klang­vol­le Namen er­in­nern. Auch dem so sym­pa­thi­schen Fi­scher, den ei­gent­lich jeder, der in Bay­ern einen Fern­se­her hat, kennt und schätzt, hat Lud­wig Thoma sei­nen Text quasi auf den Leib ge­schrie­ben. Die im Leng­grie­ser Dia­lekt ver­fass­te be­schwer­li­che Wan­de­rung zur Volks­zäh­lung von Josef und Maria, die er­folg­lo­se Her­bergs­su­che in Beth­le­hem, das Wun­der der Ge­burt des Hei­lands ist und bleibt ein be­rüh­ren­der Klas­si­ker. 1917 ver­öf­fent­licht, wid­me­te der Wahl-Te­gern­se­er Thoma seine Er­zäh­lung aus dem Lukas-Evan­ge­li­um, die er kur­zer­hand in den ober­baye­risch-bäu­er­li­chen All­tag über­trug, dem An­denken an sei­nen ver­stor­be­nen Freund Igna­ti­us Ta­sch­ner.

Zwi­schen dem kom­men­tie­ren­den Er­zäh­ler und den viel­zäh­li­gen Rol­len zu chan­gie­ren, ist eine Kunst, die nicht von vie­len so kraft­voll wie poe­tisch, so in leb­haf­ten Bil­dern er­zäh­lend und so sug­ges­tiv be­herrscht wird, wie von Die­ter Fi­scher. Er liest nicht, er lebt sei­nen Text. Gerne ver­gisst man da die kal­ten Füße und die lau­fen­de Nase.

Schon in der Ein­lei­tung, im ers­ten Haupt­stück sieht man ihn als Zim­mer­mann Brot­zeit und Bier durch­aus ge­nie­ßen. Sein Jo­seph hat einen dunk­len, war­men Bass, die un­ver­dros­sen op­ti­mis­ti­sche Maria klingt zart, aber kei­nes­falls zer­brech­lich. Ob gran­ti­ger Haus­knecht, schnau­zen­der Jo­si­as oder des­sen kei­fen­des Ehe­weib, jeder Cha­rak­ter wird mit in­di­vi­du­el­lem Pin­sel­strich ge­malt.

Ly­ri­sche Töne gibt es im Traum des Hand­werks­bur­schen, das Ster­nen­flim­mern in der sich auf­hel­len­den Win­ter­nacht kann man ima­gi­när leuch­ten hören. „Dass’s Christ­kind bloß Arme g’sehg’n hamm“ steht als zen­tra­le Bot­schaft der Le­sung ein­ge­mei­ßelt, ohne ober­leh­rer­haft mah­nen­den Zei­ge­fin­ger, trotz­dem mit Nach­druck.

Als wun­der­ba­res Pen­dant ge­stal­tet dazu der Stei­bay Drei­ge­sang die vom ge­bür­ti­gen Ober­am­mer­gau­er Thoma ver­fass­ten Lied­tex­te. Unter den ver­schie­de­nen mu­si­ka­li­schen Fas­sun­gen, die es dazu gibt, ent­schied man sich für die 2016 im Satz von Heinz Neu­mai­er in Sig­merts­hau­sen erst­mals aus der Taufe ge­ho­be­nen Ge­sän­ge. Der sam­ti­ge Klang der gut aus­ba­lan­cier­ten bei­den Frau­en­stim­men Sissi und Clau­dia vom Am­mer­see mit dem te­no­ra­len, aber nie auf­trump­fen­den Kraft­pa­ket Ger­hard aus dem Salz­bur­ger Land geht ein­fach di­rekt unter die Haut. Nicht erst beim Schluss-Jod­ler „bald kimmt die Hei­li­ge Zeit“ könn­te man nasse Augen be­kom­men.

Am Ende ist einem wahr­lich warm ums Herz, auch wenn man rein äu­ßer­lich etwas schock­ge­fros­tet ist. „Ad­vent is a Leucht’n“ in­to­niert das En­sem­ble Sai­ten­druck zum Aus­zug, da mag man das Kir­chen­schiff ei­gent­lich gar nicht ver­las­sen. Nicht min­der fein wie der künst­le­ri­sche Ge­halt des Nach­mit­tags ist eben auch das An­lie­gen der Ver­an­stal­tung. Denn die Le­sung von Die­ter Fi­scher, der sich als Schirm­herr des Hos­piz­ver­eins im Pfaf­fen­win­kel stark en­ga­giert, und sei­nen mu­si­ka­li­schen Part­nern ist als Be­ne­fiz­ver­an­stal­tung zur Un­ter­stüt­zung der Hos­piz­ar­beit aus­ge­lobt. Was für eine wun­der­ba­re wie wich­ti­ge Geste im Ad­vent.

DO­RO­THE GSCHNAID­NER

Jodler vom Steibay Dreigsang